20100531

KOPFLOS (Love is a sign)

30. Oktober 2009, Sydney, 00.34 Uhr (Australian Central Standard Time ACST)

Standing on a sunken canoe
Looking up at the waterlilies
They´re green and violet blue
Still the sun finds a place to light me
Still the sun finds that it´s warm beside me


Er hatte sie im SpeakEasy aufgegabelt, wo sie an der Bar einen grünen Cocktail getrunken hatte. Das passte ihm gut: eine Gegen-Annie, die klebrige Cocktails schlürfte, Netzstrümpfe trug zu einem violetten Minirock und ein knappestmögliches Top. Die großen Brüste wurden vom sonnengelben T-Shirt-Stoff kaum bedeckt. Wenn sie sich vorbeugte, eröffnete sich ein Blick links oder rechts auf einen dunkelbraunen, großflächigen Brusthof. Sie wollte heute noch einen Mann, das zeigte jede ihrer Bewegungen, die Art, wie sie die  Beine übereinander schlug, um sie dann wieder auseinander zu flechten, ihr Zeigefinger, der mit sanften Druck über den Glasrand strich.  Die war genau, was er brauchte, nichts zierlich Verklemmtes an ihr: Das hier war eine Frau, die wusste, was sie wollte und die  wollte, was sie kriegen konnte. Gegen-Annie saß an der Bar, als hätte er sie sich für diese Nacht dort hin phantasiert.

An Karim allerdings, hatte er sich vorgenommen, an Karim würde er nicht denken, nicht an Karims Blut an der Landstraße in Brandenburg. MINDLESS. Dieses Blut hatte er sich tagsüber im Studio ergießen lassen zwischen die Bankentürme der City; in den Häuserschluchten hatte er die verdrehten Körper der Krawattenträger getürmt und deren Gehirne statt Karims auf die Pflaster gespritzt, indem er den Regler aufundab drehte und ein nervenzerrendes Kreischen erzeugte. Gut war es schließlich, wenn der porzellane Atem der weißen Elfe aus dem Wald der Wälder über die Leichenberge hauchte (volume down) und der dunkle König zurückkehrte auf seinen Thron, geschnitzt aus den Knochen der Geldjäger (volume up). Die rosabackenen Nymphen tanzten und gaben sich freudig den Waldmännern hin. Gedankenlos vollzog sich, was geschehen musste. Er saß auf dem namenlosen Hügel und sah die Welt brennen. (explosion) Gut. Er hatte den ersten Song aufgenommen seit... Nicht daran denken. Musik machen. Ficken. Annie. NICHT Annie. Fuck you, Annie.


The world is too big or too small
I won´t be the madman then
It will be me that´s come to call
Me in freezing weather
Snow cuffs on my wrist
You down the river
And London no longer exists

Sie war keine Goldgräberin. Sie wollte keinen Mann aufreißen, um sich über ihn, sein Geld oder seinen Status Glanz zu verleihen. Rosie schimmerte, weil sie glühend heiß lief und Hitze abstrahlte: purer Sex. Solche Frauen gab es auch. Er hatte sich neben sie an die Bar gelehnt, den Körper zunächst noch von ihr weg gedreht. Sie hatte ihn taxiert und Tomasz wusste genau, was er zu bieten hatte.

"Mein zerzauster David", hatte Annie gesagt. Zerzaust. Unaussprechliches Wort. "What does it mean?" "Tousled hair." Tomasz fuhr sich mit der rechten Hand durch das dunkelbraune, fast schwarze Haar. Er liebte es, seine dichten Haare zu zerwühlen oder sie zer - z a u s en zu lassen von willigen Frauenfingern. Ab und an schnitt er ein paar Strähnen, die ihm zu dicht an die Augen hingen mit der Nagelschere, kreuz und quer. Zauselkopf. Er wusste, dass dies Struppige ihm stand, darunter die markante Nase, die steile Falte über der Nasenwurzel, der schmale Mund, das eckige Kinn. Seine wuseligen Haare gaben dem betont Männlichen etwas Jungenhaftes, schufen Nahbarkeit und Vertrauen. Wo es unangebracht war. Das werdet ihr noch merken, Ladies. Das hast du gemerkt, Annie. Und genossen. Er hatte nur drei Knöpfe des zerknitterten Hemdes geschlossen, gab die Blicke frei auf seinen glatten Oberkörper, der selbstverständlich enthaart war. Das hatte Annie erstaunt. Ihn hatte ihr Staunen überrascht. Alle seine Freunde enthaarten sich. Aber für Annie war es wieder ein Grund mehr gewesen, auf den Altersunterschied hinzuweisen."Michelangelo´s David hasn´t got any hairs, too." "Ja. Er ist zu perfekt. Wie du." Er hatte gelacht. "Hell. Certain parts of him are a bit... small, what do you think, babe?" Und er hatte ihre Hand an seinen Schwanz geführt. 

Die Erinnerung erregte ihn. Aber er wollte sich auf die Gegen-Annie konzentrieren. Er hatte nicht genügend Geld dabei, um ihre Drinks zu bezahlen. Sie musste ihn so sehr wollen, dass es nicht darauf ankam. Er drehte sich zu ihr herum und öffnete dabei leicht die Beine. Wenn sie hinunter schaute (was sie aber sicher nicht sofort täte, etwas Lenkung brauchte sie schon), sähe sie sein Begehren. Schätzte er sie richtig ein, so würde sie nicht schamhaft erschrecken und es überspielen, sondern darauf eingehen, zunächst mit Worten und Blicken. Er betrachtete sie ohne Scheu von unten nach oben: gute Beine, vielleicht ein wenig zu stark um die Fesseln, viel Hintern, dafür eine recht schmale Taille, üppige Oberweite, alles Bondi-Beach-sonnengebräunt. Die hellbraunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, Strähnen fielen ihr als Pony in die hohe Stirn, darunter eine aufgeschwungene Kindernase, ein breiter, rot geschminkter Mund; die grauen Augen standen weit auseinander, sie hatte nur die Wimpern getuscht, weiter kein Makeup aufgelegt. Das hatte sie auch nicht nötig. Tomasz suchte ihren Blick und glitt mit seinem dann ostentativ wieder hinunter auf ihre Büste. Da erst nahm er das Muttermal wahr, das wie eine kleine, dunkle Holzperle direkt zwischen den Brüsten lag. Augenblicklich spürte er, dass sein Glied noch härter wurde. Love is a sign: ein Mal, wie es auch Annie zeichnete. Nur dass es bei Annie kleiner war und sich nicht flächig abhob, sondern hingetupft dalag, unerspürbar von seinem Zeigefinger, der es umrundet hatte. A thousand times.

Sie hatte seinen Blick inzwischen aufgenommen, war ihm gefolgt hinunter zu ihren Brüsten und geschweift in seinen Schoß. Sie hatte es gesehen, dessen war er sich sicher. Er griff nach ihrem rechten Handgelenk. Ihre Finger berührten den Stiel des Cocktailglases. Aber er ließ es sie nicht anheben, nicht jetzt. "You´re driving me crazy." Kein origineller Spruch war das, aber darauf kam es, davon war er überzeugt, bei ihr nicht an. Das drückte exakt aus, wie sie sich sah, wie sie auch tatsächlich wirkte: Eine Frau, die Männer verrückt machen wollte und es tat, weil sie zeigte: Ich will es, wie du es willst. Weil sie die demütigenden Spielchen überflüssig machte, zu denen Männer gewöhnlich gezwungen waren, um an eine Frau heranzukommen. Weil sie sich nicht schämte zu sein, was sie war: eine Frau mit Verlangen nach einem Mann. Das gab es nicht oft. Zu vielen Frau war anerzogen worden, den Jagdinstinkt des Mannes zu wecken durch Scheu, Verweigerung, Zurückweisung. Und zu viele Männer, auch das hätte Tomasz jederzeit zugegeben, mochten zwar bei Gelegenheit eine Frau wie sie benutzen, brachten ihr jedoch keine Achtung entgegen. "She´s a slut." Er dagegen würde sie dafür respektieren, dass sie es sein wollte und sich nichts vormachte und ihm nicht. 


I´m not a playboy or a poet
There´s no cool water from the well
I wish you had a big house
And that your work would start to sell
Wave after wave
Our tension and our tenderness

Sie legte ihre linke Hand auf seine, als wolle sie ihn abwehren. Aber zugleich lächelte sie ihn an und senkte erneut für Sekunden den Blick. Er hielt ihr  stand: "I want you." "You´re very self-confident, darling.", antwortete sie. "Yeah, luv. What´s your name?" Noch immer lag ihre linke Hand auf seiner rechten. Aber beide hatten sie den Griff gelockert. "Rosemary." "Rosie, baby. That´s beautiful. I´m Tomasz." "Thomas?" "No, I´ve got hungarian ancestors. Tomasz. But you can call me Tom." "Tom." "You´re hot, baby." "Uu.." Er fuhr mit dem rechten Zeigefinger ihren Arm hinauf. Sie hatte ihre Hand weggenommen. Sein Finger glitt unter den Spaghettiträger ihres Tops. Wie einfach das bei ihr war; er fühlte unter seinem Finger die wohlige Gänsehaut, die sich auf ihrem Arm ausbreitete. Sie konnte das zulassen. Was für eine Frau. Eine Frau. Er brauchte eine Frau so dringend, ein Gegenmittel gegen das Annie-Fieber, den Karim-Brand.

Wenig später zahlte Rosemary ihrer beider Drinks. Sie hatte ihm keine Kurzfassung ihres Lebens erzählt, auch keine lange. Wahrscheinlich gab es noch nicht allzu viel zu erzählen, denn sie war erst, immerhin das hatte er erfahren, zweiundzwanzig Jahre alt. Es war in der Tat, als habe er sie bestellt: die ideale Besetzung als Gegengift. Sie ließ sich ein auf den von ihm begonnen eindeutigen Flirt, der nur ein Ziel haben konnte, das beide nicht verbargen: den Fick. Und nun standen sie auf der Straße und es gab bloß noch die Frage: Zu mir oder zu dir? Tomasz hatte auch diese Frage längst entschieden. Er wollte mit Rosie in sein Appartment, so sicher fühlte er sich, sie durchschaut zu haben. Rosie suchte keine Beziehung, sie würde keinen Kaffee kochen und kein Frühstück erwarten am Morgen und nicht zwingend einen Anruf am nächsten Tag. Sie würde sich ein Taxi rufen und verschwinden, wenn ihre Lust gestillt war. Vielleicht würde es ein nächstes Mal geben, vielleicht nicht. Sein Zimmer mit Kochnische lag nur wenige Straßenzüge vom SpeakEasy entfernt. Sie konnten mühelos durch die leicht abgekühlte Sommernacht hinlaufen und er ersparte ihnen beiden die Bezahlung des Taxifahrers, die wiederum Rosie hätte übernehmen müssen, was vielleicht sogar ihr dem Sex mit ihm zu sehr den Beigeschmack eines Callboy-Abenteuers gegeben hätte. Ihr war sein Vorschlag offenbar recht. Auch hierin hatte er sich nicht in ihr getäuscht. Es war ihr angenehm zu wissen, dass sie verschwinden konnte, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Auf dem Weg ging er zunächst neben ihr, ohne sie anzufassen. Sie versuchte auch gar nicht seine Hand zu ergreifen oder sich in seinen Arm zu schmiegen, sondern stakste auf ihren Highheels mit durchgedrücktem Rücken und schwingenden Hüften neben ihm her. Sie war mit diesem Schuhwerk fast so groß wie Tomasz. Dann - ganz plötzlich - drehte er sich zu ihr hin, presste sie gegen die Hauswand und stemmte sein Knie zwischen ihre Beine. Sein Mund suchte ihren Mund und glitt mit seiner Zunge hinein, die ihre kam ihm entgegen, umspielte sie. Sie bog ihren Unterleib nach vorne und ließ den Kopf zurück sinken, um seine Zunge in sich einzusaugen. Ihre Hände waren längst unter seinem Hemd. Die seinen suchten unter dem Top ihre vollen, doch festen Brüsten zu umfassen. Sie waren so groß, dass er sie gerade bedeckten konnten. Er drückte beide gleichzeitig fest und sie stöhnte, wie erwartet. Sie küsste ihn erneut gierig, dann glitt sie hinunter zu seiner Brust und tiefer. Sie war offenbar bereit, ihn auf offener Straße zu befriedigen. Schon war sie auf den Knien und fingerte an seinem Reißverschluss. Er schaute hinunter auf ihren Pferdeschwanz, der von einem Gummiband mit Plastiksonnenblume gehalten wurde.  "I gonna make you happy.", hörte er sie murmeln. In ihrem Nacken war einige Haare aus dem Band gerutscht und kräuselten sich, bildeten einen zarten Flaum auf der samtig braunen Haut. Sie wirkte so eifrig und beflissen, wie sie sich an seinem Hosenlatz abmühte und er wusste, er müsste ihr ihrem Eifer längst seine Gier entgegensetzen. Doch er fühlte mit einem Mal nur noch eine sanfte Zärtlichkeit für dies getriebene Wesen unter ihm. Seine Erektion schrumpfte zusammen, nicht ruckartig, sondern klang wie eine Welle aus und er fühlte nicht mal  Bedauern. Love is a sign. Er strich dem Mädchen übers Haar.  "Rosie, dear."

Sie schaute verwirrt nach oben. "Darling, you´re so sweet. But..." Sie richtete sich auf, krabbelte an seinem Körper nach oben. Man merkte jetzt, dass sie ein wenig zuviel getrunken hatte. Er hielt sie fest, nahm sie in den Arm, küsste sie sanft, glitt mit dem Mund besänftigend über ihr ganzes Gesicht. "Sweetie. Sweetie." Sie bot ihm an, mit zu ihm zu gehen, einen weiteren Versuch zu unternehmen. Er lehnte ab. Er versuchte es sehr freundlich und liebenswürdig klingen zu lassen. Das kostete ihn keine Mühe, denn er fühlte tatsächlich ungeheuer viel Wärme und geschwisterliche Liebe für sie. Er wollte ihr das zeigen, wie herzlich gern er sie hatte, doch begriff sie es nur als weitere Kränkung. Dass er sie nicht mehr mitnehmen wollte hinauf in sein Zimmer, wie hätte sie das auch anders verstehen können? Mit dem Mobile rief er ihr ein Taxi und blieb fürsorglich neben ihr stehen, bis es eintraf. Sie hatte sich von ihm weg gedreht, stand hoch aufgerichtet und einsam am Straßenrand, sich mühsam eine stolze Haltung verleihend, aber im Grunde vollkommen aufgelöst. Er wünschte fast, sie hätte geweint, dann vielleicht hätte er sie trösten und doch noch ihre Verzeihung erlangen können. So aber blieben sie stumm, bis das Taxi kam. Er öffnete ihr die Tür und sagte: "You´re the sexiest woman I´ve met for years, Rosie." Sie schwieg. Aber als ihr Taxi losfuhr, ließ sie die Scheibe hinunter und brüllte hinaus: "Fuck you, Tom." Sie war nicht klug, nein, und auch nicht originell. Aber wie hätte ausgerechnet er ihr das vorwerfen sollen?

Oben in seinem Appartement blieb Tomasz, nachdem er aufgeschlossen hatte, in der Dunkelheit neben der Tür stehen. Er hatte das Oberlicht über der Kochzeile offen gelassen. Durch das Hupen und bienenartige Summen vereinzelter Autos, die in der Nacht kreuzten, meinte er das Rauschen des Meeres zu hören. Er ging hinüber und stellte sich auf die Zehenspitzen, um durch das schräge Fenster  einen flüchtigen Blick auf den Ozean zu werfen. Dunkel wogte er in der Nacht, schimmernd das schlammige Düstergrün, die rauchblauen Wellen, die silbrigen Kämme, darüber grauschattiert der wattige Himmel. "I live on the beach now, Karim. As in your dreams. Miss you, my friend." Karim, der den Ozean geliebt hatte, war fern vom Meer gestorben. Darüber würde er nie singen können. Stattdessen hatte er den Hass vertont, mit dem er den Schmerz zudeckte,  um den blutenden Schädel des Freundes auf dem Waldboden zu vergessen. "MINDLESS. We were totally mindless. Searching for Annie. Lake Stechlin. Fuck you. Karim. Fuck me, Karim."


The letters that we´re writing
Baby, they just break our hearts
And when we get back together again
There´s just no time to start
No time to restore
It´s all on the ground
What you´ve been doing
Against what I´ve found
And this is what I find
No matter what you say
No matter what you do
I want to be the one
And
Love is a Sign

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