INHALTSANGABE

Was im November 2009 endet:

20 Jahre Ehe, ein gemeinsames Leben nach dem Ende des Kalten Krieges in Europa und Übersee, an den Großen Seen in Nordamerika, am Wannsee in Berlin, zuletzt am Stechlin, wo schon Fontane stand und sich erzählen ließ, dass der See tiefgründig verbunden sei mit dem Weltgeschehen über die Gewässer und Meere. Eine frivole Melusine erdachte er sich für diesen Landstrich und deren züchtige Schwester, Armgard, die die Mutterrolle übernahm.

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Anne und Bert Barnhelm leben mit ihren Söhnen Carl und Daniel in Neuglobsow am Stechlinsee, wo Bert am Institut für Limnologie geschichteter Seen als Biologe arbeitet. Anne gibt gelegentlich Deutsch-Kurse am Goethe-Institut in der Hauptstadt. In der Erich-Weinert-Straße hat sie für alle Fälle eine kleine Wohnung angemietet. 2008 lernte sie offenbar einen vierzehn Jahre jüngeren Mann kennen, der in ihren Phantasien als Dunkler Ritter und später als Tom Hell auftaucht. Eine Amour fou deutet sich an, aus der Anne sich nicht befreien kann. Dieser Tomasz Hosni, ein Australier mit ungarischen Vorfahren, hat den Grant McLennan-Award gewonnen und verbringt das Stipendienjahr in Berlin. Nicht viel ist über ihn bekannt, außer dass seine Band „Poor Heirs“ heißt und sein bester Freund Karim. Doch Karim stirbt Ende September 2009 am Ortseingang von Neuglobsow am See. Auf dem Rücksitz der Unglücksmaschine saß Tomasz, der sich vorgenommen hatte, in Annes heile Familienwelt einzudringen. Nach dem Unfall trifft Anne zufällig noch einmal an den Hackeschen Höfen auf den jungen Mann aus Australien. Ihr Sohn ist bei ihr; sie kann nicht offen sprechen. Kühl kündigt er ihr seine Abreise nach Down Under an und im letzten Moment flüstert sie dem Geliebten zu: „I ´ve got visa.“ Aber Anne sucht daheim in Neuglobsow auch wieder die Nähe des Mannes, den sie immer geliebt hat und der der Vater ihrer Söhne ist. Dennoch gelingt es ihr nicht, sich von der düsteren Leidenschaft zu lösen. Dem jungen Mann in Sydney scheint es nicht anders zu gehen. Ende Oktober schleppt er in einer Strandbar eine Willige ab. Doch kommt es nicht zum Verkehr, da ihn plötzlich die zärtliche Erinnerung an Annie übermannt. In der Mark, am See, liegen unterdessen die Nerven blank. Anne zankt heftig mit ihrem Sohn Carl. Weinend versöhnen sie sich. Anne gesteht dem Sohn die Sehnsucht nach „Darlinghurst Nights“. Am 9. November gratuliert im Facebook-Chat Tomasz Hosni Anne  zu 20 Jahren deutscher Einheit. Sie weist ihn darauf hin, dass es auch die Nacht der brennenden Synagogen gewesen sei. Sie erinnern sich ihrer Liebesgier in den Berliner Nächten. Doch alles endet im Streit. Tom schreibt: „I´m fucking sick of thee, Annie.“ Dann meldet er sich nicht mehr. Drei Tage später, am 13. November, findet Bert in einer Gewässerprobe des Stechlinsees ein silbriges Haar. Das Haar im See beunruhigt ihn über Gebühr. Schließlich verbrennt er es.Annes Nächte bleiben schlaflos. Sie sucht im Netz nach Spuren des verschollenen Liebhabers, erfolglos. Am 16. November schließlich bucht sie einen Flug nach Sydney. Zum Abflug bereit steht sie am Gate in Frankfurt. Da erreichen sie zwei SMS: von einer Melusine und von ihrem Sohn Carl.

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Anne, zeigt sich am Ende, ist Armgard, die Schwester der Melusine vom See. Ganz zu Anfang, vor zwanzig Jahren, hatte Anne die Wasserfrau mit dem Fischschwanz in sich versenkt; die leugnende Verkehrung des Muttertiers in die jungfräuliche Witwe  fortgeschrieben. Seither gleitet die Kinderlose durch die Weltenmeere, während Anne/Armgard ihre Söhne aufzieht. An den Gewässern stehend hört sie bisweilen den verstörenden Gesang. Das ist die andere Ebene der Erzählung, die sich zwischen die Chronologie drängt. Die Schwester wird ihr Recht einklagen. Time out.